Frankreich und Deutschland: Die zwei ungleichen Schwestern der Familienpolitik

Auf den ersten Blick ähneln sie sich sehr: wirtschaftlich, institutionell und politisch haben Deutschland und Frankreich mehr gemeinsam, als mit anderen europäischen Ländern. Aber in einem wichtigen Punkt könnten die Unterschiede größer nicht sein: Bei der Geburtenrate und der Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen. In der kürzlich veröffentlichten Studie: "Frauen auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland und Frankreich" der Friedrich Ebert Stiftung wurden die Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in beiden Ländern untersucht. Die wesentlichen Punkte stellen wir hier vor.
Deutschland: Teilzeitjobs sind die Domäne der Mütter
Es fängt schon damit an, dass Frauen in Deutschland beruflich viel schlechter gestellt sind als in Frankreich: Gerade im Niedriglohnsektor arbeiten vor allem junge und alleinerziehende Mütter. Außerdem arbeiten viele Mütter in Teilzeit: Die Teilzeitquote liegt in Deutschland bei 46,2 Prozent, in Frankreich dagegen nur bei 22,2 Prozent.
Insgesamt bedeutet das für die Situation von Müttern in Deutschland, dass sie viel stärker mit niedrigen Gehältern, unsicheren Arbeitsplätzen, geringen Aufstiegschancen und ungünstigen Arbeitszeiten konfrontiert und damit letztendlich einer unvollständigen sozialen Absicherung ausgesetzt sind. Und das betrifft auch Mütter mit höherem Bildungsabschluss und älteren Kindern.
Warum arbeiten so viele Frauen in Deutschland in Teilzeit? Vielen bleibt keine andere Wahl. Sie versprechen sich - aufgrund des Mangels an Betreuungsangeboten für Kinder - von dieser Beschäftigungsform eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Denn nach wie vor gilt die Erziehung von Kindern in Deutschland als Frauensache, wo Eltern in Frankreich bei der Kinderbetreuung viel stärker auf staatliche Institutionen bauen können. Frauen in Deutschland tragen immer noch die Hauptverantwortung für Kindererziehung und Haushalt und wählen mit diesem Bewusstsein oft von vornherein eine geringere Ausbildung oder geben sich mit Beschäftigungen zufrieden, für die sie überqualifiziert sind.
Bei der Geburt von Kindern wird dann die Erwerbstätigkeit oft ganz unterbrochen und ein Wiedereinstieg ist schwierig und häufig nur über die erwähnte Teilzeitbeschäftigung oder einer Anstellung unterhalb des eigentlichen Bildungsniveaus möglich. Dadurch sind Frauen in Deutschland immer im Nachteil, die Berufsunterbrechungen und das geringe Gehalt führen zu den sehr großen Unterschieden zu Männern oder Kinderlosen, beispielsweise bei der Höhe der Rente und der sozialen Absicherung. Und damit sind Frauen in Deutschland viel stärker dem Risiko einer finanziellen Abhängigkeit und der Altersarmut ausgesetzt als in Frankreich.
In Deutschland: Frauen sind gezwungen sich zwischen Familie und Beruf zu entscheiden
Der Erwerbsarbeitszyklus von Frauen in Deutschland ist in drei deutlich voneinander abgegrenzte Abschnitte gegliedert, in die Phase der Erwerbsarbeit, die Familienphase und die Berufsrückkehr. Kurz gesagt: Frauen in Deutschland müssen sich viel stärker zwischen Beruf und Karriere entscheiden.
In Frankreich haben Frauen dagegen die Möglichkeit, nach der Geburt eines Kindes schnell wieder in ihre Vollzeitbeschäftigung zurückzukehren. So arbeiten 40 Prozent aller Mütter mit Kindern im Vorschulalter Vollzeit, wohingegen in Deutschland bei 50 Prozent der Paare mit Kindern nur der Vater arbeitet.
In Frankreich sind also Familien- und Berufsphasen von Frauen durch das flächendeckende Angebot an staatlichen Kinderbetreuungseinrichtungen nicht so stark voneinander abgegrenzt, Frauen bleiben in ihrem Beruf und finanziell unabhängig.
Frauen in Frankreich profitieren zudem vom gesetzlichen Mindestlohn und haben in Kombination mit Vollzeitarbeit die Möglichkeit auf ein eigenständiges existenzsicherndes Einkommen und unabhängige Alterssicherung.
Je mehr eine Frau arbeitet, desto mehr Kinder hat sie
Diese Sicherheit fehlt deutschen Müttern sehr häufig und das scheint auch einen unmittelbaren Einfluss auf die Geburtenrate zu haben, die in Deutschland mit im Durchschnitt 1,4 Kindern pro Frau (gegenüber 2,1 Kindern in Frankreich) dramatisch gering ist. Der Anteil der Frauen, die aufgrund des „Entscheidungszwangs" in Deutschland keine Kinder bekommen, ist sehr hoch, Schätzungen zufolge sind fast ein Drittel aller Frauen betroffen. Bei Akademikerinnen liegt dieser Anteil sogar bei über 40 Prozent. Dagegen bleibt in Frankreich nur jede zehnte Frau kinderlos und der Anteil von Familien mit mehr als drei Kindern ist hier viel höher: Je mehr eine Frau in Frankreich Karriere macht, desto mehr Kinder bekommt sie
Ein weiterer Vorteil: Das Gehalt
Hinzu kommt, dass die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede in Frankreich deutlich geringer ausfallen als in Deutschland. Die durchschnittlichen Bruttolöhne von Frauen sind in Deutschland um 23,2 Prozent niedriger als die der Männer, in Frankreich nur um 19,2 Prozent.
Deutschlands Frauenpolitik hat Nachholbedarf
Dass das System staatlicher Kinderbetreuung in Deutschland wesentlich dazu beiträgt, dass es Frauen schwerfällt, Kinder und Karriere zu vereinbaren, liegt auf der Hand. Aber auch die unterschiedlichen Ansätze in den gesellschaftlichen Wertevorstellungen und Normen in der Arbeitsmarkt-, Sozial-, Gleichstellungs- und Bildungspolitik und in dem System der finanziellen Unterstützung von Familien in Deutschland und Frankreich haben einen großen Einfluss.
Wo in Frankreich die Gleichstellung von Männern und Frauen regelrecht ein Querschnittsthema ist, das sich durch alle Politikbereiche zieht, werden Frauen in Deutschland schneller aus dem Erwerbsleben gedrängt und die Politik hält sich mit hilflosen Gesten wie etwa dem Betreuungsgeld auf.
Dabei hat Deutschland in puncto Frauenpolitik und Förderung der Berufstätigkeit von Frauen einiges nachzuholen.
Dass die Geburt eines Kindes für eine Frau nicht bedeuten muss, auf das berufliche Abstellgleis gestellt zu werden, ist vielleicht einer der Gründe dafür, dass Frankreich in Europa die höchste Geburtenrate hat, gefolgt von Irland, Großbritannien und Skandinavien.
Weitere Informationen zu diesem Thema: Die Mischung macht's: Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Frankreich und Deutschland