Zivildienst in Frankreich: notwendige soziale Kompetenz

Zahlreiche junge Franzosen treten den vor drei Jahren eingeführten Staatsbürgerdienst an. Für die Unternehmen ist er aber noch nicht zur Selbstverständlichkeit geworden. TEXT: FABIEN RECKER
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Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommt, aber ich war motiviert", erzählt Hatoumody Konaté. Die 21-jährige Studentin absolviert einen Staatsbürgerdienst im Pariser Vorort, Evry. Sie betreut eine Schülerin bei den Hausaufgaben und der Freizeitgestaltung, zudem leistet sie PR-Arbeit für die studentische Sozialhilfsorganisation Afev. „Ich bin viel selbstbewusster geworden", resümiert sie.
2010 führte Frankreich den freiwilligen Staatsbürgerdienst ein. Wie Hatoumody können sich 16 bis 25-jährige Franzosen für die Dauer von einem Jahr einer gemeinnützigen Tätigkeit widmen. Von Altershilfe bis Umweltschutz stehen neun Aufgabenfelder zur Wahl. Spezifische Qualifikationen oder Arbeitserfahrungen sind nicht gefragt, was zählt sind Motivation und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Das Monatsentgelt beträgt 570 Euro. „Nach meiner Schneiderlehre wusste ich nicht recht, wie weiter", sagt Noria Boubaaya, 19 Jahre alt. „Ich wollte etwas Nützliches tun und entschied mich für einen Staatsbürgerdienst". In ihrer Heimatstadt Toulouse betreute sie unter Anderem einen Lebensmittelladen für Bedürftige. „Mir wurde Vertrauen geschenkt", erzählt sie, „und ich habe Menschen kennengelernt, die mir sonst nie über den Weg gelaufen wären".
20 000 Freiwillige absolvierten 2012 einen Staatsbürgerdienst. Laut Martin Hirsch, Leiter der dafür gegründeten Staatsagentur, sollen es bis 2017 etwa 100 000 Freiwillige werden, also 15 % aller Franzosen eines Jahrgangs. „Der Staatsbürgerdienst soll sich in Frankreich zu einer Selbstverständlichkeit entwickeln, zu einer echten Zivi-Kultur", wünscht sich Stephen Cazade, Leiter der Förderorganisation Unis-cités. So weit ist es noch nicht. Manchen Einrichtungen fällt es weiterhin schwer, den Staatsbürgerdienst von einem Praktikum oder einem Job zu unterscheiden. „Hier ist mehr Aufklärung gefordert", so Cazade.
Notwendige soziale Kompetenz
Auch soll der Dienst dazu beitragen, die Einstellungs- und Aufnahmebedingungen für Unternehmen bzw. Hochschulen zu verändern. So haben Konzerne wie Axa, Orange oder EDF eine „Solidaritäts-Charta" unterzeichnet, nach der verdiente Zivis besondere Berücksichtigung finden. „Soziale Kompetenz ist ausschlaggebend", wissen auch Noria und Hatoumody.
Führt sie auch zu mehr Chancengleichheit für alle? Noch bilden Studenten den Kern des „Service civique": 76% der Dienstleistenden haben nach dem Stand von 2011 Abitur, 41% sogar einen höheren Abschluss.
TEXT: FABIEN RECKER