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Können deutsch-französische Zweisprachige ihre Muttersprache verlernen?

Können deutsch-französische Zweisprachige ihre Muttersprache verlernen?

Wer lange im Ausland lebt, hat häufig das Gefühl, dass ihm in der Muttersprache die Worte fehlen oder er bestimmte Dinge nur noch in der Landessprache ausdrücken kann. Kann man als Deutscher oder Franzose überhaupt seine Muttersprache verlernen?



Die verschiedenen Phasen der Sprachentwicklung

1. Die verschiedenen Phasen der Sprachentwicklung

Wer viel mit Franzosen in Deutschland oder Deutschen in Frankreich zu tun hat, kennt diese Situationen:

  • "Il faut que je passe à l'automat." (gemeint ist der Geldautomat, eigentlich distributeur auf Französisch)

  • "Willst du eine tisane?" (statt Kräuter- oder Früchtetee)

Manch einer sucht nach seinen Worten, vermischt die Sprachen oder konstruiert ulkig klingende Sätze. Viele haben das Gefühl, dass ihre eigene Muttersprache nach Jahren im Ausland einrostet, sie regelrecht überlagert ist von der anderen Sprache.

Das Phänomen beschäftigt nicht nur viele Auswanderer, sondern auch die Forschung. Attrition oder Spracherosion nennt man es, wenn die Muttersprache scheinbar in Vergessenheit gerät.

Die promovierte Sprachwissenschaftlerin und Psychologin Dr. Brigitte Eisenkolb beschreibt es wie folgt:

"Mir ist es selbst so ergangen. Als ich zum Studium in Frankreich war, wurde mir vorgeworfen, auf Deutsch seltsam zu sprechen, hochgestochen und unnatürlich. Dem wollte ich nachgehen!"

Wer verstehen will, was mit der Muttersprache passiert, wenn man für lange Jahre ins Ausland geht, muss zunächst einmal verstehen, wie das Lernen einer Sprache überhaupt funktioniert. Eisenkolb dazu:

"Die Sprachentwicklung läuft in verschiedenen Phasen ab. Die phonetische Phase, in der man den Klang der Muttersprache verinnerlicht, findet schon in den ersten Lebensmonaten statt. Als Nächstes kommt die morphologische oder grammatikalische Ebene, danach kommt die Syntax, also die Satzstruktur. Sein ganzes Leben lang kann man dann noch Vokabular dazulernen."

Wenn man nun im Erwachsenenalter auswandert und lange im Ausland lebt, dann geschieht die Spracherosion gewissermaßen in umgekehrter Reihenfolge. Zuerst hat man Wortfindungsprobleme, dann kann es zu grammatikalischen Fehlern kommen, und in seltenen Fällen kann es vorkommen, dass man einen Akzent in der Muttersprache bekommt. Eisenkolb erinnert sich an folgende Anekdote:

"Eine interviewte Person fragte mich, ob ich Wasser mit oder ohne Gas möchte. Hier haben wir es mit Wort-für-Wort-Übersetzungen zu tun."



Vorsicht, dass die Sprache nicht einrostet

2. Vorsicht, dass die Sprache nicht einrostet

Es gibt eine Art Aktivierungsschwelle. Wenn man eine bestimmte Sprache weniger verwendet, dann braucht es mehr Aktivierungspotenzial, um an die Erinnerung heranzukommen. Das ist wie eine Schublade, die man lange nicht geöffnet hat: Sie klemmt, und man kann nicht mehr so einfach hineingreifen und sich bedienen.

Doch, und das wird nun sicher viele beruhigen, die das Phänomen am eigenen Leib erfahren haben: Es handelt sich nicht um ein echtes Vergessen. Es ist nicht komplett weg, das Wissen kann man immer wieder aktivieren. Ebenso kann man selbst gegensteuern, indem man den Kontakt zur Sprache aufrechterhält.

Diese Erklärung reicht jedoch nicht aus, um zu verstehen, warum manche Personen schon nach wenigen Jahren im Ausland Probleme in der Muttersprache haben, andere wiederum nach Jahrzehnten so fließend und sicher sprechen wie eh und je. Eine Rolle spielen beispielsweise auch der Grad der Integration, das Ansehen der Muttersprache im Zielland, das Alter oder die Motivation, aus der man ins Ausland gegangen ist.

Man kann beispielsweise beobachten, dass nach Frankreich ausgewanderte Deutsche, die einen französischen Partner haben, eine Tendenz zu einem stärkeren Sprachverlust haben als andere.

Auch ein vollständiges Vergessen der Muttersprache ist möglich, was allerdings sehr selten eintritt. Nur in Fällen extremer psychischer Belastung kann es zu einem echten Sprachverlust kommen, was Studien bei jüdischen Migranten im Zweiten Weltkrieg gezeigt haben, deren traumatische Erlebnisse zu einem Verlust der deutschen Sprache führten.



Selbstkritik ist unangebracht

3. Selbstkritik ist unangebracht

Dagegen scheinen bilingual aufgewachsene Personen vor Spracherosion gefeit. Das hat Dr. Tanja Kupisch, Professorin im Bereich Linguistik, in einem Forschungsprojekt gezeigt, bei der deutsch-französische Zweisprachige untersucht wurden, die im Erwachsenenalter in das andere Land umgezogen waren.

Dort konnte man beobachten, dass Bilinguale aus Frankreich auch nach 20 Jahren in Deutschland genau so Französisch sprechen wie monolinguale Franzosen. Dazu haben die Forscherin und ihre Kollegen Sprachproben der untersuchten bilingualen Personen unbeteiligten Franzosen in Frankreich vorgespielt. Die beurteilenden Franzosen hatten keinerlei Zweifel, dass die Sprachproben von französischen Muttersprachlern stammen.



Beide Sprachen regelmäßig benutzen, um sie nicht zu verlernen

4. Sprachen regelmäßig benutzen, um sie nicht zu verlernen

Eigen- und Fremdwahrnehmung können hier zum Teil auch auseinander gehen. Viele bilinguale Bewerber berichten von Wortfindungsstörungen. Diese Aktivierungsprobleme gibt es in der Tat, wenn man allerdings kontinuierlich auf beide Sprachen zurückgreift, dann verliert man sie auch nicht.

Es gibt aber durchaus Situationen, in denen Auslandsfranzosen oder -deutsche etwas nicht in ihrer Muttersprache ausdrücken können, weil das Vokabular in einen spezifischen Kontext wie Verwaltung oder Schule gehört, in dem eben in einer bestimmten Sprache kommuniziert wird.

Allerdings sollte man nicht zu streng mit sich selbst sein, auch wenn gerade Auswanderer zur Selbstkritik neigen.

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